Q: Hallo liebe Anne, schön, dass du Zeit für unser Interview finden konntest. Wie geht es dir?
A: Mir geht es prima! Ich sitze gerade in Dänemark in Strandnähe gemütlich in der Sonne und genieße das gute Gefühl, dass der Sommer gerade erst angefangen hat.
Q: Das letzte Mal, dass wir uns ausführlich unterhalten haben, ging es ja um meine Agentur GreenVisions. Jetzt bist du an der Reihe: Sounds Vegan ist schließlich schon viel länger am Start! Kannst du für die, die noch nicht so viel über dein tolles Projekt wissen, einmal kurz ausholen und erzählen, worum es bei Sounds Vegan geht?
A: Sounds Vegan habe ich 2008 ursprünglich als persönlichen Blog gegründet. Zu der Zeit hatte das Projekt noch einen anderen Namen und ich hatte mich thematisch noch gar nicht so richtig festgelegt. Ich bin damals von einer Webplattform endlich auf meine eigene Webseite umgezogen. Heute ist Sounds Vegan ein Onlinemagazin, in dem ich über die Themen Musik und Veganismus berichte – daher auch der Name.
Ich interviewe Künstler*innen aus der alternativen Musikszene, schreibe Reviews und veröffentliche News aus der veganen Szene und immer wieder auch Testberichte über vegane Produkte. Musikalisch geht es auf Sounds Vegan vor allem um Post-Music. Also unter anderem Post-Rock, Ambient, Post-Hardcore, Post-Metal und Post-Punk. Dazu kommen auch immer mal wieder Prog, No-Wave, Indie und alle Arten von DIY Music.
Ich interviewe Künstler*innen aus der alternativen Musikszene, schreibe Reviews und veröffentliche News aus der veganen Szene und immer wieder auch Testberichte über vegane Produkte.
Q: Ich finde es super, dass du deine Leidenschaft für den Veganismus mit deiner Liebe zur Musik verbindest. Das sind auch meine absoluten Säulen im Leben (nebst Familie und Freund*innen, versteht sich). Welche Bands haben dich in deiner musikalischen Entwicklung beeinflusst, und was war für dich der wichtigste Grund, vegan zu leben? Oder waren es gleich mehrere?
A: Erst mal zur Musik. Das ist eine wirklich komplizierte Frage, wenn ich so darüber nachdenke. Ich habe sie schon so oft Menschen gestellt und jetzt, wo ich sie selbst beantworten soll, muss ich tatsächlich in mich gehen. Meine Eltern lieben Musik und ich bin mit Musik wie Blues und Rock aufgewachsen – mit Jimi Hendrix, Greatful Dead, BB. King, John Mayal, John Lee Hooker, Bob Dylan, Aretha Franklin und Dionne Warwick. Ach, die Liste ist endlos.
Quelle: sounds vegan/Anne Reis
Als Teen habe ich dann kurz mit Pop, schnell aber auch mit Indie und Alternative herumprobiert. Damals war Brit Pop auch gerade groß – mit Pulp und Blur. Pulp habe ich damals extrem abgefeiert. Ich habe aber auch viel Grunge gehört und mich selbst sehr mit der Musik, die aus Seattle zu uns herüberschwappte identifiziert.
Mein Onkel hatte damals schon seinen Plattenladen und importierte viel Musik aus dem UK und den USA. Daher konnte ich so ziemlich alles anhören, was man sich vorstellen kann und habe schon damals die Entwicklung der unterschiedlichen Genres und die Vernetzung der unterschiedlichen Strömungen und Bands untereinander mitverfolgt – weit bevor ich Zugang zum Internet hatte.
Als ich dann etwas älter wurde, ging es mit der elektronischen Tanzmusik los. Mit den Clubs und den Mixtapes kamen dann auch in dieser Ecke die ersten Favoriten. Das Größte war es damals, auf Warehouse und Progressive Techno zu tanzen – DJ Rush, Felix da Housecat und wie sie alle heißen. Irgendwie hat es sich dann mit der Zeit auf ganz natürliche Weise ergeben, dass all diese sehr unterschiedlichen Welten zusammenliefen und ineinander übergingen. Post-Rock-Bands wie Mogwai und Projekte wie Massive Attack und Portishead waren für mich das Genialste, was ich mir vorstellen konnte.
Ich begann mich nach und nach immer mehr mit Musik zu beschäftigen, die Grenzen sprengt und Genres längst hinter sich gelassen hat. Ich denke, dass ich mich darum heute so wohl mit Post-Music und all ihren Spielweisen fühle. Natürlich höre ich aber auch nach wie vor viel Musik aus den unterschiedlichsten Genres.
Post-Rock-Bands wie Mogwai und Projekte wie Massive Attack und Portishead waren für mich das Genialste, was ich mir vorstellen konnte.
Insgesamt bin ich der Meinung, dass es ihre Weiterentwicklung ist, die Musik zu etwas so Faszinierendem macht. Sie kommt niemals zum Stillstand und treibt immer neue Blüten – und das trifft längst nicht nur auf Progressive Music zu. Ich vermute, dass das auch der Grund dafür ist, warum ich Gleichaltrige, die nach wie vor ausschließlich die Songs der Bands oder DJs aus unseren Zwanzigern hoch und runter hören, nicht wirklich verstehen kann.
Ich bin einfach permanent damit beschäftigt, neue Songs, neue Bands und neue Evolutionsstufen verschiedenster musikalischer Ecken zu erforschen und mich in neue Stücke und die Werke mir bisher unbekannter Künstler*innen hineinzuhören. Darum könnte ich mich auch niemals auf ein bestimmtes Genre festlegen. Über Jahrzehnte nur die Musik einer überschaubaren Menge an Bands zu konsumieren und mich dabei möglicherweise auch noch auf eine bestimmte Phase dieser Bands zu beschränken, würde sich für mich wie eine unnötige Einengung anfühlen. Aber vermutlich bin ich einfach ein Nerd.
Zum zweiten Teil deiner Frage: Mein wichtigster Grund, mich für ein veganes Leben zu entscheiden, waren die Tiere. Ich muss dazu sagen, dass ich mit 13 zuerst Vegetarierin wurde. Erst später habe ich dann erkannt, dass Tiere auch für Milch, Eier, Honig, Leder, Seide und viele andere Produkte Höllenqualen erleiden.
Ich schaute mir damals die Dokumentation Earthlings an und von diesem Tag an gab es für mich keinen Weg mehr zurück. Eine Woche später habe ich angefangen, für ein veganes Onlinemagazin zu schreiben und bin immer tiefer in die Thematik eingetaucht. Heute bin ich fest davon überzeugt, dass wir in unserer heutigen Zeit den Bezug zu anderen Lebewesen, mit denen wir diesen Planeten teilen, komplett verloren haben. Den wieder herzustellen ist eine große Aufgabe und mit Sounds Vegan versuche ich einen kleinen Teil dazu beizutragen.
Mein wichtigster Grund, mich für ein veganes Leben zu entscheiden, waren die Tiere.
Q: Eine sehr schöne Mission! Welche Bands oder auch Sänger*innen oder andere Acts würdest du gerne einmal interviewen und warum?
A: Es gibt einen unglaublich großartigen Musiker und Weltstar, den ich tatsächlich in Kürze interviewen werde, den ich schon circa seit meinem 15. Lebensjahr interviewen möchte. Wenn nichts dazwischenkommt, wird sich dieser Traum tatsächlich bald erfüllen. Er ist eine großartige Ikone und ein starker Einfluss auf zahlreiche Musiker*innen unserer Zeit. Stay tuned! Du wirst ihn dann auf Sounds Vegan finden.
[Anm. der Redaktion: Das Interview ist mittlerweile erfolgt – und es handelt sich dabei um niemand geringeren als Ausnahmekünstler und Tierrechtsaktivsten Moby! Das spannende Interview kannst du hier nachlesen.]
Die Szene, in der ich mich bewege, ist insgesamt sehr aufgeschlossen und kommunikativ. Mir ist es vermutlich auch aus diesem Grund schon gelungen, Künstler*innen wie The Ocean, Dave Penn (Archive, BirdPen), Mike Vennart (Oceansize, Biffy Clyro, Vennart, Empire State Bastard) Jamie Dean (God Is An Astronaut), Crippled Black Phoenix (die ja in der veganen Szene auch eine tragende Rolle spielen) und Lost in Kiev zu interviewen.
Ein absolutes Highlight war für mich zuletzt Taka von MONO (Japan). Und ich konnte einer meiner absoluten Lieblingsbands interviewen: Die schwedische Post-Rock-Band EF! Für mich ist es jedes Mal eine große Ehre, diese Menschen persönlich kennenzulernen und es wird sich definitiv niemals wie Routine anfühlen. Es ist nach wie vor ein Traum, der für mich in Erfüllung geht und etwas ganz Besonderes.
Q: Du bist ja nicht nur mit Sounds Vegan, sondern auch als vielseitige Texterin, Autorin, Journalistin und Übersetzerin unterwegs. Wie gehst du bei der Auswahl deiner Kund*innen vor, was ist für dich ein “No-Go”? Oder anders gefragt: Welche Kriterien sollten deine Kund*innen erfüllen?
A: Das ist eine spannende Frage, die mir schon überraschend häufig gestellt wurde. Vor allem auch in den Agenturen, für die ich früher gearbeitet habe. Daher kann ich sie, denke, ich oberflächlich auch relativ schnell und knapp beantworten: Ich würde nicht für die Rüstungsindustrie oder Fleischkonzerne arbeiten. Ich denke aber, dass sich das von selbst versteht und gehe davon aus, dass das viele in ihren Ethics stehen haben.
Wenn ich etwas tiefer gehe, kommen noch viele weitere Aspekte zum Vorschein. Natürlich liebe ich es auch sehr, für die kleinen, veganen Brands zu arbeiten und damit den Wandel voranzubringen. Es gibt zum Beispiel aber auch große Firmen, die neben veganen Produkten auch unvegane im Angebot haben. Hier würde ich dann ausschließlich über die veganen schreiben. Da ich es jedoch ziemlich gut finde, wenn Menschen über die Marken, die ihnen bereits bekannt sind, ihren Einstieg in die vegane Welt finden, kann ich das gut vertreten, denke ich.
Heute ist das ja komplett anders, als noch vor 15 oder 20 Jahren. Damals hat man sich seine Hafermilch noch selbst gemacht und war froh, wenn man ein paar Tofuwürstchen im Discounter gefunden hat, um mal etwas anderes als ständig Bohnen, Kichererbsen, Kohl und Brokkoli zu essen (lacht). Heute gibt es eine derartig große Vielfalt an veganen Produkten. Das hätte ich damals nicht zu träumen gewagt. Daher hat sich, glaube ich, meine Einstellung, was das angeht, auch etwas geändert.
Als Texterin bin ich allerdings auch vorwiegend im Innovations-Bereich unterwegs und die Beantwortung dieser Frage daher eher theoretischer Natur. Ich schreibe zum Beispiel für B2B-SaaS-Unternehmen und da geht es natürlich vor allem um Technik, Software und Usability. Ich arbeite außerdem auch an Texten für Firmen aus den Bereichen alternative Energien, Nachhaltigkeit, Software, People & Culture und DEIB (Diversity, Equity, Inclusion and Belonging).
Da muss ich mir diese Fragen meistens gar nicht stellen. In den Bereichen Mode und Beauty hingegen kommen vorwiegend Brands auf mich zu, die ohnehin schon ähnliche Ansichten vertreten wie ich. Auf Sounds Vegan würde ich natürlich auf keinen Fall Produkte von Brands vorstellen, die zum Beispiel Tierversuche durchführen lassen. Produkte, die nicht vegan sind, kommen auf der Webseite auch nicht vor. Aber das ergibt sich ja auch schon aus ihrem Namen.
Q: Absolut! Als langjährige Veganer*innen wissen wir ja, dass die ganze Bewegung ein Riesenstück weitergekommen ist. Du hast ja auch gerade erzählt, wie man sich damals schon gefreut hat, wenn man mal Tofuwürsten im Discounter gefunden hat. Der Veganismus hat so oder so auf jeden Fall an Zugkraft gewonnen und ist auf jeden Fall "here to stay", wie man so schön sagt. Aber dennoch müssen wir dringend mehr werden, wenn wir die Tiere, das Klima und auch unser eigenes Überleben sichern wollen. Wie optimistisch oder pessimistisch bist du da?
A: Meine Einstellung dazu hat sich über die Jahre tatsächlich immer mal wieder verändert. Im Moment bin ich, was das angeht, eher optimistisch. Vor allem die große Vielfalt, die wir heute haben, macht es den Menschen, denke ich, viel leichter. Damit meine ich nicht nur die vielen Produkte, sondern auch das Angebot an Informationen. Die Streamingdienste sind voll mit veganen Dokus, es gibt den Veganuary, vegane Straßenfeste und viele andere tolle Begegnungsmöglichkeiten – sogar eine Dating-App für Veganer*innen. Ich beobachte zudem auch, dass viele heute zuerst über die Klimabewegung ihren Einstieg finden und dann später auf unseren gemeinsamen Beweggrund, uns für ein veganes Leben zu entscheiden, aufmerksam werden: die Tierrechte.
Der Klimaschutz ist, denke ich, global gesehen ein großer Hebel, der sich schon bald immer schneller und spürbarer in Bewegung setzen und dazu führen wird, dass zahlreiche Menschen von heute auf morgen auf vegan setzen werden. Vor allem, wenn Fleisch- und Milchprodukte aufgrund des Wasserverbrauchs und der schlechten Klimabilanz irgendwann das dreifache oder vierfache von pflanzlichen Lebensmitteln kosten werden, wird es für die meisten keine Gründe mehr geben, H-Milch statt Erbsendrink und Rindsbratwurst statt Tofuwürstchen zu kaufen – oder frisches Gemüse statt Sülze (lacht).
Q: Was sind deine Ideen, um anderen den Veganismus “schmackhaft” zu machen?
A: Die größte Wirkung bringt es sicherlich, den Menschen die Vorzüge der veganen Lebensweise zu zeigen. Allerdings finde ich es dennoch wichtig, auch immer darauf hinzuweisen, dass es in erster Linie darum geht, dass kein Lebewesen Leid erfährt. Auf soundsvegan.com versuche ich eine ausgewogene Mischung zu bringen und beides nicht außer Acht zu lassen. Ich denke, insgesamt ist Ausgewogenheit vermutlich das Stichwort. Schockbilder lösen bei vielen Menschen nur aus, dass sie noch stärker ausblenden, was sie ohnehin schon verdrängen.
Zu “weichgespült” ausschließlich mit hübschen Kleidchen aus veganer Seide oder dem Argument, vegan sei doch so gut für die Gesundheit zu arbeiten, hat hingegen auch keine wirklich nachhaltige Wirkung. Menschen mit liebevollen Dankanstößen dazu anzuregen, sich selbst zu hinterfragen. Das ist, denke ich, das beste Rezept.
Q: Vielen Dank liebe Anne, dass du dir so viel Zeit für meine Fragen genommen hast. Ich hoffe, deine Antworten werden unsere Leser*innen mindestens genauso inspirieren, wie sie mich inspiriert haben.
A: Vielen Dank für deine tollen Fragen! Es hat mir Spaß gemacht und mir selbst auch mal wieder spannende Denkanstöße geliefert! Wer Interesse an Veganismus und alternativer Musik hat, findet mich auf soundsvegan.com. Als Texterin, Übersetzerin und Lektorin kann man mich auf anne-reis.de buchen.
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